CHRIS MARTIN. Starring into the sun

Es geht ihm nicht darum, schöne Bilder für den Kunstmarkt zu malen, sondern sich ausdrücken und mittels seiner Malereien einen sozialen Bezugsrahmen zu schaffen. Deswegen finden sich seine Bilder, die er als lebendige Objekte versteht, auch im Außenraum wieder, etwa wie auf den Außenseiten der Kunsthalle Düsseldorf, wo sie ungeschützt dem Wetter ausgesetzt sind.

Chris Martin ist ein Künstlerkünstler, der erst 2011 seine erste institutionalisierte Ausstellung in der Cochran Gallery in Washington D.C. erhält. Im selben Jahr folgt die Kunsthalle Düsseldorf und zeigt sein Werk erstmals umfassend außerhalb den USA. Neben den jüngsten farbintensiven großformatigen Malereien sind auch Werke seiner Frühzeit zu sehen. Es sind riesige, schwarze Bildräume, in denen er mit wenigen Linien mit der Illusion von begehbaren Räumen spielt. Beide Werkgruppen, die Black Paintings wie auch die bunten Malereien, die die Pop Art und spirituelle Abstraktion aufgreifen, verbindet die Auseinandersetzung mit Spiritualität und bewusstseinserweiternden Grenzerfahrungen.

Chris Martin wurde 1954 in Washington D.C. geboren, wo er autoritär aufwuchs. Seinen Vater, der bei der CIA arbeitete, musste er mit Sir anreden. Wie er selbst in einem Interview erzählt, stand für ihn mit 14 fest, dass er Künstler werden wollte. Schlüsselerlebnis war für ihn vor allem die Musik des Godfathers of Soul James Brown. Musik ist für ihn bis heute lebendige, bewusstseinserweiternde Erfahrung.

Die engen Grenzen des Vaterhauses überwand er mithilfe von Museumsbesuchen, wo er die Großen der Kunstgeschichte studierte und sich an ihnen abarbeitete. Ein Malereistudium am College kann ihn nicht befriedigen; er geht Mitte der 70er Jahre nach New York, wo er schnell in die Kunstszene findet.

Anfang der 90er bricht der Kunstmarkt mit dem Börsencrash in Japan ein und Chris Martin sucht nach alternativem Gelderwerb. Er macht eine Ausbildung zum Kunsttherapeuten und arbeitet in Folge 12 Jahre mit HIV-Infizierten. In dieser Zeit entstehen die Black oder auch Death Paintings, in denen er seine Erfahrungen mit Sterbenden verarbeitet. Niedrig über den Boden gehängt markieren sie eine Grenze von einem Zustand in einen anderen. Die in den Bildern charakteristische horizontale Linie gleicht einer Schwelle, die überschritten werden will. "Here" ist eines der Schlüsselwerke, wobei "Here" nicht nur eine tatsächliche Orts- und Zeitbestimmung von Hier und Jetzt bezeichnet, sondern auch einen spirituellen Ort meint.

Spirituelle Erfahrungen sind das, was Chris Martin umtreibt. Indienreisen bereichern seine Bildwelten, die an den Traditionen der spirituellen Landschaften und spirituellen Abstraktion anknüpfen und weiterführen, zugleich aber das Sublime hinter sich lassen und lebenspraktisch orientiert sind. Ohne Wertung finden sich in seinen Malereien anthroposophische, buddhistische, christliche und kabbalistische Bezüge neben Referenzen zu von ihm verehrten Pop Größen und Künstlerkollegen. Diesen widmet er ganze Werkreihen, u.a. James Brown und Amy Winehouse. Oftmals schreibt er auch Namen in seine Bilder ein, wobei die Benannten wortwörtlich die Basis bilden, auf der sich Chris Martin weiter entwickelt, - die Namen finden sich meist an der unteren Bildgrenze.

Bezeichnend für Chris Martin ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und der Versuch, das eigene Ego los zu lassen, - das Ego, das den Menschen mittels zahlreicher Ängste, vor allem der Todesangst, konditioniert und an seiner eigentlichen Entfaltung hemmt. Die Zahl 7 bildet dabei ein Symbol, das in seiner Ikonographie immer wieder auftaucht: als siebenzackiger Stern, als Ovale, die sich wie Schallwellen und Chakren zugleich nach oben ausdehnen, als Heptagon von montierten Schallplatten und als Spektralfarben.

Die Zahl 7 nimmt in allen Religionen, Philosophien und anthroposophischen Denkweisen eine zentrale Bedeutung ein. Numerologisch steht sie für die Venus, Liebe, Barmherzigkeit, Güte, Tugendhaftigkeit, Glück, Schönheit, Reinheit, Ausgeglichenheit. Ihre Bedeutung im Werk von Chris Martin spiegelt seine Sehnsucht nach der Verschmelzung mit dem Universum wie auch seine kosmischen Bildwelten viel von dieser erzählen. Damit steht Chris Martin nicht allein. Gerade in der westlichen materiell funktionalistisch geprägten Welt ist mehr und mehr diese Sehnsucht zu spüren, die von der Entfremdung der Menschen von sich selbst und der Welt gespeist wird. Konsum als Gegenangebot zur Entfremdung kann die Sehnsucht nicht befriedigen.

Die conditio humanae zielt nach transzendenten Erfahrungen. Und genau das ist es, was Chris Martin in seinen Bilder ausdrückt. Transzendente Erfahrungen werden neben der Inhaltlichkeit seiner Malereien auch in deren Dimensionen erlebbar. In der Ausstellung von Washington reichen einige Werke über mehrere Stockwerke. Um solche Arbeiten anzufertigen verlässt er sein Atelier und klettert auf das Dach des Gebäudes, um dort zu malen oder einfach auch nur, um den Sonnenaufgang zu betrachten. Starring into the sun ist insofern nicht nur sowohl Titel der Ausstellung in Düsseldorf als auch einer Werkreihe. Starring into the sun ist für Chris Martin gelebte Wirklichkeit, in dem Sinne, dass das, was wir betrachten, uns verwandelt. In seinen Werken wird diese Erfahrung anschaulich spürbar!

Text: Dr. Stefanie Lucci
© der Abb.; oben im Uhrzeigersinn:
East River 2005: Donna Alberico; Graham Avenue, NY 2003, Here, 1995-1996: Chris Martin; Water, 1999-2000: Kunsthalle Düsseldorf; Chris Martin on the rooftop of his studio, 2002: Nellie Appleby
Mitte von links nach rechts: Hommage to Alfred + Ben #5, 1982-1995: Chris Martin, Jay Gorney; Mototown Music and the Astral Plane, 2007-2008: Roman März; The Secret Melancholy of Karlheinz Stockhausen, 2008-2009: Chris Martin
unten: East River 2005: Donna Alberico
Mit freundlicher Genehmigung der Kunsthalle Düsseldorf.