D HWANG. Symphonie Nr. 7 in Major 22, Allegretto
Wie gesagt: Ich war verwirrt!
Nicht darüber, dass ein Koreaner sich mit Beethoven auseinandersetzt. Die Beschäftigung mit europäischer, klassischer Musik hat in Korea nahezu schon Tradition. Auch nicht dass er sich für Beethoven begeistern kann, immerhin ist Beethoven ein Genie, und einen deutschen Meister innerhalb einer Ausstellung in Deutschland zu thematisieren liegt ebenfalls nahe.
Was allerdings gar nicht nahe liegt, ist, dass D Hwang, der in Korea als einer der progressivsten Avantgardisten gilt, mit seiner Kunst eine Beziehung zu einem Klassiker aufmacht. Was in aller Welt, fragte ich mich, hat der zweite Satz, das Allegretto von Beethovens 7. mit dem Kunstwerk auf der Einladungskarte und den anderen Arbeiten von D Hwang zu tun? D Hwangs Arbeiten lernte ich in vergangenes Jahr kennen. Die Dichte und die Ernsthaftigkeit seiner Arbeiten beeindruckte mich, darin ist nichts hippes, trendiges, kein Mainstream zu finden. Aber auch vordergründig nichts, was mich an Beethoven und klassische Musik erinnern würde.
Also führte mich dieses Rätsel dazu, mich mit Beethovens 7. näher auseinanderzusetzen und bei den Recherchen dazu erschloss sich mir der tiefere Zusammenhang zwischen den Werken, insbesondere zu der Werkreihe Zen in disappearing earth, aber auch zu dem Motiv der Einladungskarte, das Teil der Werkreihe GARATICA ist.
Was ich herausfand: „Als Beethoven mit der Komposition der 7. Sinfonie begann, war er mit dem Abschluss von Die Ruinen von Athen beschäftigt. Beethovens Leben war zu dieser Zeit von seiner immer stärker werdenden, Taubheit geprägt, die auch nicht von einer ‚Hörmaschine’ gemildert werden konnte. Schließlich mussten „Konversationshefte“ verwendet werden, mit deren Hilfe Beethovens Gesprächspartner schriftlich mit dem Komponisten kommunizierten; aus dieser Zeit stammt auch ein Liebesbrief Beethovens an seine damalige Geliebte, die er darin ‚Unsterbliche Geliebte’ nennt.“
Zum Anderen lässt die Stimmung des Allegrettos aufmerken: „Der zweite Satz wird von der ersten Note an vom Rhythmus bestimmt. Der feierliche Charakter erinnert an einen Trauermarsch oder an eine Prozession und wurde von Musikhistorikern in Bezug zur Litaneiformel ‚Sancta Maria, ora pro nobis’ gesetzt, wobei den Musikhistorikern zufolge der Mittelteil des Satzes im Übrigen auch eine motivische Anleihe an die Arie ‚Euch werde Lohn in besseren Welten’ aus Beethovens Oper ‚Fidelio’ enthält.“ Unübersehbar sind also die Todesmotive, die sich durch das Allegretto ziehen. (Wikipedia)
Wenn der Blick also auf die Entstehungszeit der 7. Symphonie gerichtet wird, darf vermuten werden, dass diese Zeit für Beethoven durchaus schwierig gewesen sein muss. Der Hörverlust muss schwer auf seiner Seele gelastet haben wie auch das damit korrespondierende Gefühl der Vergänglichkeit allen Seins und somit auch des eigenen. Die Bewusstwerdung der eigenen Transitorik wie auch das Entschwinden des Hörvermögens mögen von ihm wie ein langsames Sterben empfunden worden sein.
Und genau hier finden sich die Bezüge zu D Hwangs Werken. Denn die Werke kreisen eben genau um dieses Thema: um die Seinsfrage und damit unweigerlich verbunden um den Tod.
Wir alle stehen vor der Tatsche unseres begrenzten physischen Lebens. Die Frage ist nur, wie wir damit umgehen. Blenden wir diese Tatsche weg und kompensieren die Angst davor beispielsweise durch materielle Akkumulation, indem wir versuchen über die materielle Sicherheit der Todesfrage auszuweichen? Ergehen wir uns in Vergnügen und verdrängen, dass unser Leben im Grunde genommen der Weg in den Tod ist? Oder setzen wir uns bewusst damit auseinander und richten unser Leben an eben dieser Herausforderung aus?
D Hwang hat sich für die bewusste Auseinandersetzung mit der Unausweichlichkeit des Todes entschieden. Seine Werke sind bildgewordene Reflexionen über den Sinn des Lebens und seine ursprünglichen Werte, über das Dasein und das Ich. Sie sind Gedanken über das Sterben und den Tod. Kurz gefasst: D Hwangs Kunst ist sinnhafte, aisthetische Existenzphilosophie.
Die Titel der Arbeiten geben entscheidende Hinweise: insbesondere die Werkreihe Zen in disappearing earth. Zu diesen Arbeiten finden sich weitere Reflexionen D Hwangs wie: Now and here is a true death, Now is the right time for dying, Now is the constant death und This is the continuity of nothing that never ends. In diesen vermeintlich düsteren Feststellungen ist in der Tat nichts trendy oder Mainstream und sie sind ebenfalls weit ab von der Welle der so genannten shock art. Vielmehr führen uns D Hwangs Zuschreibungen zu seinen Arbeiten direkt in die Philosophie des Buddhismus, die in der Ausprägung des Zen-Buddhismus eine besondere Richtung erhielt: nämlich die Versenkung in den Augenblick als gelebte Fülle des Daseins.
Was sich so einfach anhört, ist jedoch realistisch gesehen eines der schwierigsten Dinge. Dem Zen-Praktizierenden wird nämlich die Aufgabe des selbstbezogenen Denkens und letztlich des Selbst abverlangt. Die Belohnung für die Mühen sind allerdings groß: Vollkommene innere Befreiung: Es gibt nichts zu erreichen, nichts zu tun und nichts zu besitzen. Oder anders ausgedrückt: unser Sein ist Aufgehobensein im Dasein. Die Anhaftung an das Ich wie auch an die Welt löst sich auf, verschwindet. Zen in disappearing earth. Damit endet auch das Leiden, das einen angesichts der Angst vor der eigenen Sterblichkeit überfällt. Denn wird das Leben angstfrei und verbunden mit dem vollen Sein im jeweiligen Augenblick gelebt, ist jeder Moment der richtige um zu sterben. Now ist the right time for dying. Die Frage nach dem Sinn des Lebens existiert nicht mehr; das In-die-Welt-geworfen-Sein kann angenommen werden.
D Hwang Arbeiten muten wie Reflexionen auf diese praktische Philosophie an. In ihnen geht es jedoch nicht um Erleuchtung. Alles Helle ist entschwunden, vielmehr wird in ihnen die dunkle Seite thematisiert: Farbschleier ziehen sich über die Flächen wie eine Grenze zwischen dem Ich und einer Welt, die sich dahinter aufzulösen scheint, so als ob jedwede Anhaftung mehr und mehr verschwindet. Seine Malereien thematisieren dabei die Vergänglichkeit allen Seins und damit die Rückkehr in den Zustand des Daseins, in dem alles aufgehoben ist, sowohl das Werden wie auch das Vergehen, was im Grunde genommen ein und dasselbe ist. Now and here is a true death. Now is the constant death. Für den Intellekt ist das schwer zu verstehen. Doch D Hwangs Arbeiten zeigen, dass das Nichts das Etwas ist und das Etwas das Nichts und beides dasselbe ist, nämlich das Sein, in dem wir aufgehoben sind. So gesehen ist das Leben auch der Tod. Now is the constant death. Diese Erkenntnis stellt sich bei der Betrachtung der Werke allerdings eher gefühlt ein, nicht rational.
Die Angst vor dem Tod birgt jedoch Chancen. Sie lässt uns von den Handlungsangeboten der Welt zurücktreten und versetzt uns in ein Moment des reflexiven Selbstbezugs. Hieraus kann die Entscheidung erwachsen, die eigene Existenz bewusst in die Hand zu nehmen und ein authentisches Leben zu führen, ein selbstbestimmtes, authentisches, intensives eigentliches Leben, das sich nicht von der Verfallenheit an das alltäglich-gesellschaftliche „Man“ bestimmen und leben lässt. (Wikipedia/Heidegger)
D Hwangs Werke spiegeln eben dieses selbstbestimmte, authentische und intensive Leben wieder: sie sind authentisch, tiefgründig, ehrlich.
Sich keiner Regelhaftigkeit zu unterwerfen, sondern sich die Freiheit der eigenen Lebens- wie auch Kunstgestaltung zu nehmen, ist nicht nur in Asien provokativ. Und an dieser Stelle schließt sich mit dieser unkonventionellen Herangehensweise D Hwangs nun auch wieder der Kreis zu Beethovens Allegretto der 7. Symphonie, in der der Komponist mit den Regeln bricht und seinen eigenen Weg geht. Beethoven bricht nämlich im Allegretto mit der Tradition, indem er es mit einem Akkord sowohl beginnen als auch enden lässt, der traditionsgemäß ausschließlich im Solokonzert zur Kadenz überleiten durfte. Beethoven ging seinen eigenen Weg, wie auch D Hwang seinen eigenen Weg in reflektierter Selbstbestimmung geht. Möglich wird ihm dies durch eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Leben, das auf den Tod zuschreitet. Seine Werke sind bildhafte Zeugnisse dieser mutigen Auseinandersetzung.
„They are sheltering the dark, while keeping balance of both yin and yang. They are placed in the very middle, narrowly enjoying the mysteries.“ (D Hwang)
Oder mit Goethe:
SEELIGE SEHNSUCHT
Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und Werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
Text: Dr. Stefanie Lucci
© der Abb. D HWANG, vonfraunberg art gallery